I Can't See You Coming: Manuela Leinhoß & Ivan Seal

In Virginia Woolfs Roman To the Lighthouse repräsentiert der Leuchtturm einen nur unter großen Schwierigkeiten erreichbaren Sehnsuchtsort. Im Bewusstseinsstrom der handelnden Figuren, die in einem Geflecht von gesellschaftlichen und familiären Konventionen gefangen sind, ist er Anlass für Projektionen – während die Lichtkegel seiner Scheinwerfer nur Fragmente des Lebens in einem Haus an der britischen Küste erfassen.

Der englische Originaltitel impliziert, im Gegensatz zur deutschen Übersetzung Die Fahrt zum Leuchtturm neben einer Richtungsangabe auch eine Widmung. Wenn Manuela Leinhoß und Ivan Seal diesen Text als Dreh- und Angelpunkt für ihre gemeinsame Ausstellung gewählt haben, so steht dahinter der Wunsch, der offensichtlichen formalen und inhaltlichen Nähe ihrer Arbeiten eine offene und flexible Struktur zu geben, „eine Insel, auf der wir uns treffen können“. 

Sie hatte ihn gefragt, wovon die Bücher seines Vaters handelten. „Vom Subjekt und Objekt und dem Wesen der Wirklichkeit“ hatte er geantwortet, und als sie sagte, Himmel, sie habe keine Ahnung was das bedeute, „dann stellen Sie sich einen Küchentisch vor“, hatte er geantwortet, „wenn Sie selbst gar nicht da sind.“[1]

So wie Woolfs Roman eine Art Kammerstück ist (fast die gesamte Handlung spielt sich im und um das Haus, bzw. in den Köpfen der Protagonisten ab) stammen auch die Motive von Ivan Seals Gemälden und Manuela Leinhoß‘ Skulpturen und Installationen aus dem häuslichen Bereich. Gefäße, Möbel, Stoffe und Teppiche führen in beider Arbeit jedoch ein Eigenleben, scheinen buchstäblich animiert zu sein und das Potential zum Weiterwachsen in sich zu tragen. So wie der überlange Duschvorhang, der an die Schleppe eines Brautschleiers erinnert, der Lichtschalter, der mit einem kugelrunden Lautsprecher zu einem Zwitterwesen verschmilzt oder die ledrig wirkende, mit feinen Blattadern durchzogene Pappmachéhaut, die sich um ein Metallgestell mit Koffergriff legt. Bei vielen von Leinhoß‘ Objekten bleibt offen, ob sie sich im Werden oder im Vergehen befinden, strenge geometrische Strukturen kontrastieren mit weichen Textilien, fragile, bewegte Oberflächen mit lackierten Metallgestellen.

Analog dazu platziert Seal die von ihm dargestellten Gegenstände – anthropomorphe Gefäße, Nippesfiguren, Blumenbouquets und auch einen von einem Hündchen behüteten Totenkopf – auf Sockeln, Podesten, Regalen und in letzter Zeit auch wiederholt auf Katzenbäumen. Vor Hintergründen in pastelligem Sfumato wirkt die pastos aufgetragene Ölfarbe besonders plastisch: Farbfächer, Schlieren, Batzen drängen sich auf einem in See stechenden Schiff, halten sich mit Müh und Not am Mast, gehen über Bord. 

Die Farbe ist in Ivan Seals Malerei geradezu Akteurin, scheint beständig zu sagen: aus mir kann auch noch etwas ganz anderes werden! Und die Fingerspuren am Rand einiger Bilder sind gleichermaßen Signatur („Seal fecit“) wie Auflösung der Illusion.

So drangen denn in das leere Haus mit den verschlossenen Türen und den zusammengerollten Matratzen jene umherstreifenden Lüftchen, die Vorboten großer Heere, auftrumpfend ein, strichen über kahle Dielen, knabberten und fächelten, stießen in den Schlafzimmern wie im Wohnzimmer auf nichts, was ihnen völlig widerstand, sondern nur auf flatternde Behänge und knarrendes Holz, auf die kahlen Beine von Tischen, auf Pfannen und Porzellan, schon bepelzt von Staub, matt geworden, gesprungen.[2]

Das Eigentümliche, das ins Unheimliche kippt, ist ein weiteres verbindendes Element in den Arbeiten von Manuela Leinhoß und Ivan Seal. Bei beiden sind es Momentaufnahmen, Fragmente oder Stellvertreter einer größeren, aber uneindeutigen Narration, die zu teils grotesken Bildern verdichtet werden: Putti, die auf einer impressionistisch bemalten Urne einen Reigen tanzen, ein (Toten-?)Glöckchen, das an einem diagonal das Bild querenden Kreuz hängt, ein über einem Teppich schwebendes, in der Bewegung erstarrtes Tuch oder ein Stuhl, der seine potentiellen Benutzer mit feindseligen Zacken empfängt.

Ein Bild zeigt eine turmartige Konstruktion, eine surreale, im Harlekinmuster dekorierte Miniarchitektur zwischen Aussichtsplattform, Bunker und Behausung – ein möglicher Treffpunkt, ein Ausblick oder ein Schlupfloch in eine andere Realität? Das wissen nur die Künstler und die Katzen.

[…] und dazu noch Endchen und Stückchen von allem Möglichen: eine Waschfrau mit ihrem Korb, eine Krähe; rot und gelbe Fackellilien; die dunkelvioletten und graugrünen Tönungen von Blumen; ein gemeinsames Gefühl, welches das Ganze zusammenhielt.[3]

Bettina Klein


[1] Virginia Woolf, Die Fahrt zum Leuchtturm, Fischer Taschenbuch Verlag, 1982, S. 31

[2] Ebenda, S. 159

[3] Ebenda, S. 236