Der Mensch, welcher in dieser Umwelt als Mängelwesen betrachtet werden kann, benötigt schon immer schützende Hüllen um überleben zu können. Diese Hüllen müssen sich immer wieder neuen Begebenheiten anpassen. Sie prägen und gestalten unsere Welt; bilden lokale Systeme, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen. Mit der Entwicklung der menschlichen Kultur unterliegt unser Lebensraum einer stetigen Transformation. Er wird immer wieder neu betrachtet, wahrgenommen und modelliert.
Unsere Lebensweisen hinterlassen Spuren im Raum, sowie der Raum auch Spuren auf uns hinterlässt - ein beständig wechselseitiger Austausch.
Die Ausstellung Cavernous Shells bei Tom Reichstein Contemporary, zeigt ausgewählte Arbeiten von Sarah Doerfel, Vincent Scheers und Philipp Zrenner. Was ihnen in ihrer ganzen Verschiedenheit gemein ist, ist eine Prozesshaftigkeit in unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen. Die Ausstellung spannt einen Bogen vom Heute, bis hin zurück in eine Zeit kurz vor der Sesshaftwerdung der Menschheit. Der Mensch entwickelte ein anderes Selbstverständnis und mit diesem neuen Bewusstsein ging auch ein neues Verständnis für die Umwelt mit einher. Man war nicht mehr eins mit der Natur, eine Abgrenzung und Hierarchisierung begann. Diese mag einerseits überlebenswichtig gewesen sein, doch führte sie im Laufe der Zeit auch zu ungesunden Auswucherungen, welche sich noch heute ungut auf unser Bewusstsein niederschlagen. Abgrenzungsprozesse können schützende aber auch zerstörerische Auswirkungen haben. Und scheinbar dichten Hüllen sind jedoch auch immer porös und durchlässig.Selbst der härteste Chitinpanzer ist durch seine Tracheen noch immer unumgänglich mit der Umwelt verbunden.
Sarah Doerfels Arbeiten erinnern an überzeitliche Urwesen welche sich in Metamorphosen befinden. Sie wechseln ihre Hüllen von weichen Membranen hin zu harten kämpferischen Schalen. In ihren Arbeiten kombiniert sie weiches und hartes, Körpermerkmale von ausgestobenen und bedrohten Arten und unterschiedlichen Spezies - so kreiert sie Transwesen im Prozess. Auch wir Menschen wechseln unsere Hüllen, unterliegen einem stetigen Prozess, sei es, wenn man von einem Lebensalter in das nächste eintritt, sich die Lebensumstände ändern, oder der Körper Veränderungen unterliegt.
Vincent Scheers Kunst ist geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Natur. Seine bildhauerischen Werke erzählen, nicht selten mit einer Prise bitteren Humors, Geschichten von einem Aufstand der Natur gegen das vom Menschen geschaffene, aber auch von der Verletzlichkeit und dem schutzlosen Ausgeliefert-seins der Natur gegenüber dem Menschen, welcher sinnbildlich kopflos in den Kampf reitet. In seinen Malereien porträtiert er auf geisterhafte Weise ausgestorbene Tierarten und berichtet somit von Verlusten, die die Menschheit auf diesem Planeten verursacht hat. Durch die Verwendung eines Gemischs aus natürlichen Pigmenten und lichtempfindlichen Chemikalien, bleiben sie lebendig und unterliegen einer fortdauernden Veränderung.
Philipp Zrenners Arbeiten widmen sich den urbanen Hüllen - den Gesichtern der Stadt. Lüftungsschächte und Heizungen, Gitter, Verschalungen und Brunnen - das stetig atmende, fließende und rauschende Wesen der Stadt. Durch dieses reist Zrenner als Spurensucher hindurch. Seine markanten bildhauerischen Arbeiten changieren zwischen Melancholie und versteckter Romantik. Er spürt einerseits den Signalen der Stadt, aber auch menschlichen Spuren und Zeichen in den harten unpersönlichen Fassaden nach, welche diesen individuelle Geschichten verleihen. In Heizungs-, Lüftungs- und Brunneninstallationen verweist er auf Energiekreisläufe, denn so hart und undurchlässig die urbanen Hüllen auch scheinen, unterliegen sie mit uns in einem stetigen Austausch.
Judith Hofer