Verstrickt, Zerbröckelt: Carl Maria Kemper. Fabian Knecht & Jeewi Lee

Verstrickt, Zerbröckelt

 

Es sind Spuren natürlicher Zersetzung, fahrlässiger Zerstörung und gesteuerter Gewalt. Mit Carl Maria Kemper, Fabian Knecht und Jeewi Lee versammelt „Verstrickt, Zerbröckelt“ drei künstlerische Positionen, die sich Krisen und Ängsten der Gegenwart widmen. Am Ende der sorgfältig recherchierten und in die eigene künstlerische Praxis überführten Zusammenhänge, identifizieren sie den Menschen als Hauptverantwortlichen. An der Schwelle zum geologischen Zeitalter des Anthropozän hat er den Klimawandel, die Übernutzung natürlicher Ressourcen und den Verlust von Biodiversität maßgeblich zu verschulden. Unmittelbar verwoben mit den inhaltlichen Interessen und gleichermaßen bezeichnend, ist die in den ausgestellten Arbeiten zutage tretende Form- und Materialsprache. Die Überführung materieller Zeugnisse von Zeit und Erinnerung in den Ausstellungsraum geht auf das gemeinsame Interesse der Künstler*innen an ortsspezifischen Vorgehensweisen zurück. Wiederholt treten Rückbezüge von Natur und Mensch hervor. Krakelees und Krater, Camouflage und verfärbte PVC-Folie, Sandkörner und Farbpartikel gehen ineinander auf und werden zur gesellschaftlichen Metapher der eigenen Einschreibung und Verstrickung in die Zäsuren unserer Zeit. 

 

Den monochromen Farbflächen aus Sand in Jeewi Lees (*1987, Seoul) „Field of Fragments“ (2023) wohnt ein vom Material ausgehender Ansatz inne. Wenngleich Symbol für Zeit und Vergänglichkeit, haftet Sand der fälschliche Ruf einer unendlichen Ressource an. Dass dem nicht so und die potentiell Milliarden alten Körner zahlreiche Transformationsprozesse durchlaufen bis sie zu winzigen Skulpturen abgelagerten Gesteins werden, veranschaulicht die Künstlerin. Abseits von Gegenständlichkeit und in Anlehnung an die Farbfeldmalerei Mitte der 1950er Jahre, richtet Lee ihre Aufmerksamkeit auf die tiefe Einschreibung des Materials in Alltag und Geschichte. Neben den Sandkörnern, die sie eigens an der Atlantikküste Alentejos gesammelt hat, belegt die Seifenskulptur „Silencescape_01“ (2022) das Interesse der Künstlerin an Kleinstpartikeln und Rückständen unserer Umgebung als substantieller Ausdruck von Zeitlichkeit, Spur und Zeugenschaft. Natürliche Öle und Kohle verbinden sich mit Asche aus den verheerenden Waldbränden in Australien 2019/20, einem Element, das paradoxerweise sowohl vernichtende als auch reinigende Kräfte in sich trägt.

 

Nicht minder aufgeladen und konkret in Bezug auf die politische Gegenwart sind Fabian Knechts (*1980, Magdeburg) raumgreifende Tarnnetze, die in ein vielschichtiges Gebilde natürlicher, ästhetischer und militärischer Kategorien einführen. Bei den zerfaserten Stoffresten in „Lachen ist Verdächtig“ (2022) handelt es sich um tatsächliche Fragmente des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die der Künstler in den Kunstkontext überträgt. Mit einem Mal nicht mehr Schutz gebend, sondern zur Kunst erklärt, setzt Knecht das den handgeknüpften Netzen zugrundeliegende Prinzip der Anpassung fort. In seiner Kritik an bestehenden Machtstrukturen und gesellschaftlichen Normen, erscheint Kunst und das sie umgebende System nicht neutral. Vielmehr fordern seine starken und provokanten Bilder die Besucher*innen dazu auf die eigene Stellung im Weltgeschehen zu hinterfragen.

 

Stellung bezieht auch Carl Maria Kemper (*1983, Ahaus). Ein zentrales Moment seiner formal und inhaltlich breit angelegten künstlerischen Praxis ist die Anklage leichtsinniger und egoistischer Eroberungsbestrebungen, die nicht bloß die eigene Existenz, sondern darüber hinaus die von Mitmenschen und Umwelt bedrohen. Ob durch Bodenentwässerung in Kohletagebaugebieten verursachte Eisenablagerungen in „The Evening of Reluge“ (2023) oder buchstäblich bröckelnde Betonkuben in „Körperverletzung“ (2023), wiederholt konfrontiert Kemper mit den Folgen menschlich verschuldeter Zerstörung. Nicht zuletzt die multimediale Installation „SOL (Something Once Lost)“ (2023) lässt keinen Zweifel an dieser Haltung. Sie hat ihren Ausgangspunkt in einem Flugzeugunglück, dass sich 1966 am Mont Blanc, dem höchsten Berg Europas ereignete und wird in der Ausstellung zum Sinnbild einer übermutigen Gesellschaft, die Gefahr und Warnung verkennt.

 

Sjusanna Eremjan